Zum Hauptinhalt springen
Diese Seite nutzt nur dann Cookies, wenn Sie Kommentare hinterlassen.

Deutsch-Französische Gesellschaft Bochum-Ruhr e.V.

WEIHNACHTEN IN FRANKREICH

Diesen Beitrag habe ich ursprünglich auf Französisch verfasst und in Zusammenarbeit mit meiner Tochter Sonja Lemannczick ins Deutsche übersetzt.

Ich bin Französin (aus der Gegend von Orléans) und lebe seit vielen Jahren in Bochum. Hier erzähle ich von einem typischen Heiligabend mit meiner Familie in meiner Heimatstadt. Wir feiern Heiligabend zu Hause (ohne Geschenke, denn die packen wir erst am nächsten Tag aus). Der Höhepunkt des Abends ist das Essen mit den vielen Gängen, die den Gaumen verwöhnen. Dieser Abend voller guter Laune dauert bis weit nach Mitternacht, was nicht nur an der Anzahl der Gänge liegt, sondern auch daran, dass wir uns beim Essen die Zeit nehmen, uns zu unterhalten und zu scherzen, so dass jeder Gang ziemlich lange dauert.

Am späten Nachmittag des 24. Dezembers treffen wir uns zu den letzten Vorbereitungen: Während die einen den Tisch im Esszimmer decken und den Weihnachtsbaum fertig schmücken, kümmern sich die anderen in der Küche um das Essen. Gegen 19 Uhr beginnen die Feierlichkeiten mit einem apéritif: alkoholische Getränke nach Wahl (z. B. Pastis, Suze, Porto), begleitet von amuse-gueules. Amuse-gueules (wörtlich übersetzt: „Gaumenvergnüger“) sind Kleinigkeiten wie Chips, gesalzene Erdnüsse, Cracker … und apérocubes. Das sind kleine Käsewürfel mit einer Größe von etwa 1 cm, die in buntes Aluminiumpapier eingewickelt sind. Auf der Innenseite des Papiers sind Quizfragen zu verschiedenen Themen abgedruckt (Filme, Persönlichkeiten, Geografie, historische Ereignisse…). Sich diese Fragen gegenseitig zu stellen und zu beantworten, macht viel Spaß und wir essen oft mehr Käsewürfel, als wir eigentlich wollen, nur um an weitere Fragen zu kommen. Dieser erste Gang des Weihnachtsessens dauert entsprechend lange … und häufig gibt es eine weitere Runde Alkohol, die wir mit den Worten on rabille le gamin (wörtlich „wir ziehen das Kind erneut an“) einleiten.

Wenn wir mit dem Aperitif fertig sind, öffnet ein Familienmitglied die Austern (ein ganzes Dutzend für die größten Leckermäuler), die wir traditionell roh mit einer Schalotten-Vinaigrette-Soße essen. Die zweite Vorspeise ist foie gras de canard (Entenleberpastete) mit kleinen runden Scheiben aus naturbelassenem Roggenbrot und Roggenbrot mit eingebackenen Feigen. Die dritte Vorspeise ist nicht immer gleich: mal gab es Räucherlachs, mal gab es Weinbergschnecken gefüllt mit Kräuterbutter, mal Froschschenkel, oder auch halbe Melonen gefüllt mit Monbazillac (einem süßen Weißwein) mit einer halben Walnuss darin. Seit ich in Bochum lebe, bringe ich zu jedem Weihnachtsfest einen geräucherten Aal aus Deutschland mit (den es in Frankreich nicht gibt; dort gibt es nur frischen Aal). Zu den drei Vorspeisen trinken wir Weißwein.

Danach ist es Zeit, mit dem trou normand (wörtlich „normannisches Loch“) dem Magen eine Pause zu gönnen, auch wenn wir uns nicht in der Normandie befinden: es handelt sich um ein kleines Glas Calvados (ein Obstbrand aus der Normandie) mit einer Kugel Sorbet darin. Traditionellerweise wird Apfelsorbet verwendet, aber bei uns gibt es Birnensorbet.

Bevor wir zum Hauptgang (dem Fleisch) übergehen, räumen wir den Tisch ab, um neue Teller und neues Besteck aufzulegen. Da es ab diesem Zeitpunkt Rotwein zu trinken geben wird, wechseln wir auch die Gläser. Das ist für uns die Gelegenheit, uns die Beine zu vertreten, indem wir in die Küche gehen und den Geschirrspüler befüllen. Das Fleischgericht mit Gemüse variiert wie die dritte Vorspeise: Oft wählen wir Wild (Wildschwein, Reh, Hirsch), aber ab und zu auch Kapaun oder die klassische Ente à la Orange. Das Fleisch ist in der Regel gefüllt (z. B. mit Esskastanien) und wird mit Soße serviert. Zu diesem Zeitpunkt ist der Abend schon weit fortgeschritten und alle sind bereits gut gesättigt. Aber es ist noch nicht das Ende des Essens! Also gibt es einen einfachen grünen Salat mit einer Vinaigrette, um die Verdauung zu fördern, bevor es die traditionelle Käseplatte gibt.

Für den Käse wechseln wir wieder die Teller und schaffen auf dem Tisch Platz für eine große Platte: Camembert, Bleu d’auvergne, Crottins de chèvre, Comté de Savoie, Pavé d’Affinois, Chaource, Reblochon, Morbier... wir haben die Qual der Wahl (www.leguidedufromage.com). Aber es gibt einen Käse, der für unsere Familie auf der weihnachtlichen Käseplatte unverzichtbar ist: ein ganzer Brie de Melun (ca. 1,5 kg und 27 cm Durchmesser), der auf einer Strohunterlage präsentiert wird. Er wird aus roher Kuhmilch hergestellt und stammt aus Melun, einer Stadt im Département Seine-et-Marne. In Deutschland ist er nicht erhältlich, und wenn ein Käsehändler Ihnen einen Brie de Meaux verkaufen will (der in Deutschland leicht erhältlich ist) und behauptet, es gäbe keinen großen Unterschied zu einem Brie de Melun, können Sie selbstbewusst entgegnen: Nein, nein, nein, das ist nicht wahr! Der Brie de Meaux ähnelt zwar dem Brie de Melun (und Meaux ist eine Stadt, die nicht weit von Melun entfernt liegt), aber der Brie de Melun hat einen anderen Geschmack, ein anderes Aussehen und eine andere Konsistenz: Kurz gesagt, es handelt sich um unterschiedliche Käsesorten. Der Käse wird mit Baguette und Rotwein serviert.

Nun haben wir wirklich keinen Hunger mehr, aber aus Tradition und Freude an gutem Essen essen wir noch die berühmte bûche de noël (wörtlich übersetzt: „Weihnachtsholzscheit”), ein Dessert mit dem Aussehen eines Baumstamms. Es gibt mittlerweile zwei Varianten: einerseits die traditionelle bûche patissière, eine schokoladenhaltigeBiskuitrolle, andererseits die moderne bûche glacée (wörtlich übersetzt: “eisiger Holzscheit”), eine Speiseeisrolle. Da die bûche glacée leichter verdaulich ist als die bûche pâtissière, haben wir es uns zur Gewohnheit gemacht, an Heiligabend eine bûche glacée zu essen und die bûche pâtissière am nächsten Tag zu servieren (https://www.shutterstock.com/fr/search/b%C3%BBche-de-no%C3%ABl). Und danach, obwohl es schon spät ist, trinken einige Familienmitglieder einen kleinen Kaffee und genießen dann zum Abschluss des Abends einen pousse café (wörtlich übersetzt: „Kaffeeschubser“). Dabei handelt es sich um einen aus Früchten destillierten Alkohol: ein eau de vie oder marc (https://de.wikipedia.org/wiki/Eau_de_vie).

Nach all dem sind wir pappsatt und können absolut nicht mehr weiteressen: on a les dents du fond qui baignent (wörtlich übersetzt: „unsere Backenzähne schwimmen“). Manchmal kommt es vor, dass das eine oder andere Familienmitglied sich übernommen hat und den Tisch mit Übelkeit verlässt (auch wenn alles köstlich ist, ist es besser, dem Drang zu widerstehen, eine zweite Portion von jeder Speise zu nehmen). Für diesen Fall haben wir zu Hause immer eine Flasche Schoum (Kräutergetränk: Schoum, das traditionelle Heilmittel, das es seit 1926 gibt | Seite 1). Es schmeckt zwar scheußlich, tut der Verdauung aber gut!

Schließlich, obwohl die festliche Stimmung und die gute Laune immer noch vorhanden sind, fordert die Müdigkeit ihren Tribut. Da niemand Lust hat, jetzt noch den Tisch abzuräumen, lassen wir alles stehen und liegen und gehen ins Bett.

Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest!

image_pdfimage_print

Frankreich, Gesellschaft, Landeskunde, Weihnachten

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments

Die Gestaltung der Homepage wurde gefördert durch den Deutsch-Französischen Bürgerfonds: www.buergerfonds.eu

Mitgliedsbeiträge
  • Einzelmitgliedschaft

    € 24,-

  • Familienbeitrag

    € 32,-

  • ermäßigter Beitrag für Schüler*innen und Studierende

    € 10,-

Mitgliedsbeiträge sowie Spenden an die Gesellschaft sind steuerlich absetzbar.

Wenn Sie im Raum Bochum wohnen oder wenn Sie einen längeren Aufenthalt dort planen und zu frankophilen Bürger*innen dieser Stadt in Verbindung treten möchten, sind Sie herzlich eingeladen, sich an uns zu wenden.

Deutsch-Französische Gesellschaft Bochum-Ruhr
Vorstand
Kontakt
  • Postadresse

    Deutsch-Französische Gesellschaft Bochum Ruhr e.V.,
    c/o Marlies Bons-Künsebeck, Waldring 55, 44789 Bochum

  • Tel.:

    0234 - 81025008

  • Tel.:

    0234 - 28 09 36

  • Bankverbindung:

    Sparkasse Bochum, IBAN DE12 4305 0001 0001 3810 60 SWIFT-BIC: WELADE D1BOC